DGUV Information 207-007 - Zytostatika im Gesundheitsdienst Informationen zur sicheren Handhabung

Abschnitt 4.2 - 4.2 Expositionsermittlung

Das Ausmaß der Exposition gegenüber Zytostatika hängt insbesondere von der Art und Häufigkeit des Umgangs sowie der Menge der zu verarbeitenden Arzneimittel ab. Vor allem die Art der Aufnahme (oral, inhalativ, dermal) spielt eine entscheidende Rolle:

  • Eine orale Aufnahme sollte bei Einhaltung der üblichen Hygieneregeln grundsätzlich nicht auftreten.

  • Ebenso ist eine inhalative Exposition der Beschäftigten nicht zu erwarten, da Zytostatika allgemein einen sehr geringen Dampfdruck aufweisen und die Entstehung von Aerosolen durch den Einsatz von Schutzmaßnahmen (Sicherheitswerkbänke, Isolatoren, geschlossene Überleitsysteme) vermieden wird. Messungen der Luftbelastung zur Bestimmung der Exposition an Zytostatika-Arbeitsplätzen sind deshalb für die Gefährdungsbeurteilung nicht hilfreich.

  • Allerdings kann eine dermale Aufnahme (zum Beispiel über die Hände) nicht ausgeschlossen werden, wenn Zytostatika durch Verschleppung in Arbeitsbereiche gelangen, in denen keine Handschuhe getragen werden. Insofern können Verfahren zur Identifizierung von Oberflächenverunreinigungen mit Zytostatika im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung hilfreich sein.

Generell besteht die Möglichkeit, durch ein Umgebungsmonitoring die externe Belastung sowie durch ein Biomonitoring die innere Belastung der Beschäftigten nach beispielsweise einer dermalen oder gegebenenfalls auch inhalativen Aufnahme eines bestimmten Arzneistoffs festzustellen. Bei nicht bekannten Schwellenwerten für die CMR-Wirkungen ist es allerdings bis heute nicht möglich, verbindliche Grenzwerte für Zytostatika im biologischen Material zu definieren. Wegen der in der Regel geringen Belastungen kann die Messung im biologischen Material an die analytischen Nachweisgrenzen stoßen.

4.2.1 Umgebungsmonitoring

Wischproben auf Oberflächen:

Das Umgebungsmonitoring mittels Wischproben wurde zur Qualitätssicherung am Zytostatika-Arbeitsplatz entwickelt.

Beim Wischprobenverfahren werden definierte Oberflächen im Arbeitsbereich mittels getränkter Wischtücher beprobt. Die Proben werden in einem Transportbehältnis zur Bestimmung von Zytostatika gekühlt in Speziallabore versandt und dort analysiert.

Es bietet gegenüber dem Biomonitoring (siehe Kapitel 4.2.2) deutliche Vorteile. So kann durch das Biomonitoring beispielsweise nicht geklärt werden, wie und wodurch ein Zytostatikum in den Körper gelangt ist. Beim Wischprobentest können hingegen geringste Kontaminationen an bestimmten Flächen der Arbeitsplatzumgebung ermittelt werden und somit helfen, die Freisetzungs- und Verteilungswege von Zytostatika zu identifizieren. Derzeit können etwa 25 verschiedene Zytostatika analytisch erfasst werden. Hierzu zählen Wirkstoffe wie Cyclophosphamid, lfosfamid, 5-Fluorouracil sowie Platin als Indikator für Cis-, Carbo- und Oxaliplatin.

Untersuchung weiterer Materialien

Neben Oberflächen lassen sich auch Gegenstände wie Textilien (Bettwäsche, Handschuhe) auf Zytostatika untersuchen. Da im Labor bei der Extraktion der Zytostatika aus diesen Materialien weitere Stoffe extrahiert werden können, die die chemische Analyse stören, ist das Verfahren aufwendig und bislang auf spezielle Einzelfälle beschränkt.

Probenahme

Die Auswahl der zu beprobenden Wischflächen sollte sich daran orientieren, wo mit Zytostatika vorrangig gearbeitet wird und wo sie freigesetzt werden können (Belastungsschwerpunkte). Auch die mögliche Verschleppung von Wirkstoffen (zum Beispiel über Anfassen, Laufen, Abstellen, Weitergeben) sollte dabei berücksichtigt werden. Als Probenahmestellen sind im Zubereitungsbereich geeignet:

  • Boden vor der Sicherheitswerkbank und in der Raummitte,

  • Ablageflächen für die Vor- und Nachbereitung (zum Beispiel Auspackplatz, Desinfektion der Ampullenflaschen, Ablage der fertigen Zubereitungen, Etikettierungsplatz, Arbeitsfläche bei Einschweißgerät),

  • Lagerplätze (zum Beispiel Vorratsschrank, Schubfächer, Kühlschrank),

  • Durchreichen beziehungsweise Materialschleusen,

  • Oberflächen von Abfallbehältnissen,

  • Innen- und Außenflächen von Transportbehältern.

Denkbar ist auch, Proben von der Schutzkleidung an der Körpervorderseite der zubereitenden Person, an Telefonhörern, Türgriffen (zum Beispiel Kühlschrank) oder Tastaturen zu nehmen.

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Abb. 3
Wischprobenentnahme, geeignete Orte für Wischproben

  1. 1

    Telefonhörer

  2. 2

    Abfallbehälter

  3. 4

    Werkbank Arbeitsplatz

  4. 5

    Einschweißgerät

  5. 3

    Boden unter der Arbeitsfläche

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Abb. 4
Probenahme-Set

In Räumen, in denen Zytostatika verabreicht werden, bieten sich für eine Probenahme beispielsweise der Infusionsständer, Infusionspumpen und Ablageflächen für Zytostatika, Transporttabletts für fertige Zubereitungen und Medikamententabletts an. Es empfiehlt sich auch, in Räumen zur Vorbereitung der Applikation (zum Beispiel in Stationszimmern) und im Entsorgungsbereich zu beproben.

Wischproben können auf einzelne Zytostatika als Leitsubstanzen beschränkt und mit vertretbarem zeitlichen und finanziellen Aufwand vom Personal vor Ort durchgeführt werden.

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser DGUV Information gab es in Deutschland folgende Dienstleister, die vollständige Probenahme-Sets anbieten und die chemische Analyse der Proben organisieren:

Berner International GmbH
Mühlenkamp 6, 25337 Elmshorn
Tel.: (04121) 4356 - 0
Fax: (04121) 4356 - 20
E-Mail: info@berner-international.de

Klinikum der Universität München, Institut und Poliklinik
für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
Tel.: (089) 44 00 - 524 63
Fax: (089) 44 00 - 539 57
E-Mail: zytowisch-arb@med.uni-muenchen.de

Monitoring-Effekt-Studie für Wischproben in Apotheken
Im MEWIP-Projekt der BGW erwiesen sich Wischproben als geeignet zur Unterscheidung zwischen "hohen" und "niedrigen" Belastungen am Arbeitsplatz. Der aus dem 90. Perzentil aller Messwerte abgeleitete Orientierungswert von 0,1 ng/cm2 stellt zwar keinen gesundheitsbezogenen Parameter dar und ist an die im Projekt untersuchten Zytostatika (5-Fluorouracil, Methotrexat, Ifosfamid, Cyclophosphamid, Etoposid, Gemcitabin, Paclitaxel und Docetaxel) gebunden, jedoch kann er als Anhaltspunkt im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung dienen. Bei höheren Werten sollte der Arbeitsprozess hinsichtlich der Freisetzung von Zytostatika überdacht und mögliche Schwachstellen beziehungsweise Kontaminationswege (zum Beispiel durch Leckagen, Störungen der Lüftungstechnik) behoben werden.

Im Verlauf des MEWIP-Projekts wurden in 130 Klinik- und Offizin-Apotheken über einen Zeitraum von zwei Jahren (2006-2007) quartalsweise Wischproben zur Erfassung der Arbeitsplatzbelastung mit acht verschiedenen Zytostatika genommen und der expositionsreduzierende Einfluss eines Wischprobenmonitorings auf die Arbeitshygiene untersucht. Daneben wurde eine Vielzahl wichtiger Daten zu Räumlichkeiten, Verbrauchsmengen, Arbeitsweise, Sicherheitsstandards etc. erfasst, um anhand der Korrelation mit den Messwerten Mechanismen und Bedingungen der Entstehung und Verbreitung von Kontaminationen aufzuklären. Mehr Informationen finden Sie auf der Website der BGW (Suchbegriff: MEWIP).

Die Laborergebnisse geben die Mengen an Kontamination an. Das Ausmaß der Belastung sollte im Vergleich zu vorangegangenen Proben oder zu Messergebnissen von anderen Zytostatika herstellenden Apotheken oder Krankenhäusern bewertet werden (Benchmarking). Bei erhöhten Messwerten empfiehlt es sich, die technischen Einrichtungen und die Arbeitsverfahren zu überprüfen und gegebenenfalls zu optimieren.

Auch für andere Arzneistoffe mit CMR-Eigenschaften (zum Beispiel bestimmte Antibiotika, Virustatika, Immunsuppressiva und Steroidhormone wie Androgene, Anabolika, Glukokortikoide, Estrogene, Gestagene) können Wischproben im Sinne des § 10 Abs. 3 Nr. 1 GefStoffV helfen, Freisetzungen und Verteilungswege zu identifizieren.

4.2.2 Biomonitoring

Belastungsmonitoring

Beim Belastungsmonitoring wird das Zytostatikum oder dessen bekanntes Abbauprodukt (Metabolit) im Blut oder Urin untersucht. Bisher gibt es nur für wenige Zytostatika, in einigen spezialisierten Laboratorien, die Möglichkeit der Untersuchung. Die Untersuchungsergebnisse sind schwer zu interpretieren, weil bisher keine ausreichenden Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen der Zytostatikabelastung im Urin und der Entstehung einer Krebserkrankung vorliegen; die Verfahren sind außerdem (bis auf wenige Ausnahmen) nicht validiert. Ein weiteres Problem sind die kurzen Verweilzeiten der Substanzen im menschlichen Körper. Diese Untersuchungsart bietet sich daher zurzeit nur für wissenschaftliche Zwecke oder besondere Fragestellungen an. Bei den meisten Messungen wird die Nachweisgrenze unterschritten.

Beanspruchungs- oder Effektmonitoring:

Das biologische Beanspruchungsmonitoring oder zytogenetische Effektmonitoring (zum Beispiel SchwesterChromatid-Austauschrate, Mikrokernrate, ChromosomenAberrationen, Addukte) ermittelt nicht den Gefahrstoff selbst, sondern dessen Wirkung am genetischen Material. Die Untersuchung kann auf biologische Effekte hinweisen, die durch bestimmte Beanspruchungen (zum Beispiel durch das Zytostatikum, aber auch außerberufliche Einwirkungen wie Rauchen, Ernährung und/oder Arzneimitteleinnahme) verursacht sein können.

Die Verfahren liefern in der Regel keine belastbaren Hinweise auf kausale Zusammenhänge, weil die Veränderungen sowohl durch die Einflüsse am Arbeitsplatz wie auch durch andere nicht arbeitsplatzbezogene Einwirkungen verursacht werden können. Die Ergebnisse sind schwer im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu interpretieren und besitzen daher kaum Aussagekraft.

Die Verfahren sind somit speziellen Situationen vorbehalten (etwa bei großflächigen Kontaminationen), bei denen wissenschaftliche Studien an einem ausreichend großen Arbeitnehmer-Kollektiv durchgeführt werden.