Abschnitt A12 - Elektrische Sicherheit
A12.1 Grundsätzliches
Beim Errichten und Betreiben elektrischer Anlagen sind insbesondere die DGUV Vorschrift 3 oder 4 und die DIN VDE 0105-100 zu beachten. Daraus gehen u. a. die entsprechenden Rollen in der Wahrnehmung der Verantwortung (Anlagenbetreiber, Anlagenverantwortlicher, Arbeitsverantwortlicher) hervor.
Die Besonderheiten im Zusammenhang mit Windenergieanlagen (WEA) werden in den folgenden Abschnitten beschrieben.
Die Gefährdungen durch die elektrischen Anlagen in Betriebsräumen von WEA sind abhängig vom Grad des Berührungs- und Lichtbogenschutzes sowie der Bedienungssicherheit.
Sowohl die gesamte WEA als auch zugehörige Nebengebäude mit den enthaltenen elektrischen Anlagen sind als abgeschlossene elektrische Betriebsstätten zu betreiben.
A12.1.1
Zugangsberechtigungen/-regelungen
Die Zugangsberechtigung darf nur Elektrofachkräften (EFK) oder elektrotechnisch unterwiesenen Personen (EUP) erteilt werden. Andere Personen sind durch Elektrofachkräfte oder elektrotechnisch unterwiesene Personen zu beaufsichtigen.
Eine besondere Gefährdung geht von Hochspannungsanlagen, Transformatoren und Niederspannungsverteiler-anlagen aus.
A12.1.2
Schalthandlungen und andere elektrotechnische Arbeiten (Qualifizierung)
Bedienvorgänge und Schalthandlungen dürfen nur von mindestens EUP ausgeführt werden, z. B. Starten oder Stoppen der WEA unter Verwendung der Steuerung.
Das direkte Betätigen von Schaltgeräten in Niederspannungs-Hauptstromkreisen darf nur von EFK ausgeführt werden.
Die Schaltberechtigung für Mittelspannungsanlagen darf nur speziell dafür qualifizierten EFKs erteilt werden. Sie ist im Sinne einer guten Praxis schriftlich auszufertigen.
Zur Durchführung von Schalthandlungen sind betriebliche Anweisungen erforderlich, in denen insbesondere festgelegt ist:
Vorgehensweise, Schalthandlungsablauf
Verantwortlichkeit, Zuständigkeit und Entscheidungsbefugnis
Koordination, Meldung und Dokumentation
mögliche Abstimmung mit dem Versorgungsnetzbetreiber VNB
A12.2 Gefährliche Körperströme
A12.2.1
Schutzmaßnahmen gegen gefährliche Körperströme
A12.2.1.1
Grundsätzliches
Ausreichender Schutz gegen gefährliche Körperströme ist gegeben, wenn vollständiger Berührungsschutz (mindestens IP 2X) sichergestellt ist. Diese Maßnahme ist in den elektrischen Anlagen und Betriebsmitteln der WEA grundsätzlich umzusetzen.
Kann der vollständige Berührungsschutz z. B. aus konstruktiven Gründen ausnahmsweise nicht umgesetzt werden, ist zumindest Schutz durch Abstand oder Hindernis zu realisieren; das kann z. B. für turmintegrierte Trafostationen zutreffen.
Für alle Bedienvorgänge - auch innerhalb von Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen (Schaltschränken) - muss mindestens der teilweise Berührungsschutz realisiert sein
DGUV Vorschrift 3 oder 4 "Elektrische Anlagen und Betriebsmittel" Anhang 1. |
Abb. A12-1
Schaltschrank
Wenn der Berührungsschutz zur Fehlersuche in Hilfsstromkreisen aufgehoben werden muss, darf der Berührungsschutz der Hauptstromkreise davon nicht beeinträchtigt werden. Diese Arbeiten sind von EFK durchzuführen (siehe Tab. 5 Nr. 8 der DGUV Vorschrift 3 oder 4).
Arbeiten an Anlagen oder Betriebsmitteln, wie Montage, Reinigung o. ä., sind grundsätzlich im spannungsfreien Zustand auszuführen. Dazu sind die Fünf Sicherheitsregeln vollständig und grundsätzlich der Reihe nach umzusetzen.
Die fünf Sicherheitsregeln der Elektrotechnik | |
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Um auch an Kondensatoren und Kabeln den spannungsfreien Zustand zu gewährleisten, müssen sie mit geeigneten Betriebsmitteln entladen werden. Kondensatoren sind zusätzlich kurzzuschließen.
Teile der Anlage, die nach dem Freischalten noch unter Spannung stehen, müssen gegen Berühren geschützt werden, z. B. durch isolierende Abdecktücher.
Die Notwendigkeit, Montagearbeiten unter Spannung durchzuführen, existiert grundsätzlich nicht.
Es muss daher eine sichere Arbeitsstelle nach den Fünf Sicherheitsregeln eingerichtet werden.
Tab. 5 Nr. 9 der DGUV Vorschrift 3 oder 4. |
A12.2.1.2
Arbeiten in der Nähe aktiver Teile
Wenn Arbeiten in der Nähe aktiver Teile durchgeführt werden sollen, dürfen die jeweils vorgegebenen Schutzabstände nicht unterschritten werden.
§ 7 der DGUV Vorschrift 3 oder 4 |
Tabelle 3 oder 4 der DGUV Vorschrift 3 oder 4 und DIN VDE 0105-100, 6.4.3 oder 6.4.4 |
A12.2.1.3
Leitfähige Bereiche mit begrenzter Bewegungsfreiheit
Verschiedene Bereiche in WEA sind leitfähig und bieten zugleich nur begrenzte Bewegungsfreiheit. In der Folge ist hier eine erhöhte elektrische Gefährdung anzunehmen, die besondere Vorgaben für den Einsatz elektrischer Betriebsmittel zur Folge hat.
⇢ | B7 "Enge Räume" |
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A12.2.1.4 Erhaltung des ordnungsgemäßen Zustandes
Für den Fall, dass in den Anlagen oder Betriebsmitteln ein Fehler auftritt, müssen Schutzmaßnahmen wirksam sein. Dies kann nur durch regelmäßige Prüfungen festgestellt werden.
Diese Prüfungen sollen aufgetretene oder sich anbahnende Mängel aufdecken, die Gefährdungen hervorrufen können oder den Betrieb behindern. Dabei werden nach einer Sichtprüfung u. a. der Schutzleiterwiderstand, der Isolationswiderstand und bei Anlagen auch die Erdung und der Potenzialausgleich geprüft.
Hinweis | |
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Elektrische Anlagen und Betriebsmittel dürfen nur von Elektrofachkräften oder unter deren Leitung und Aufsicht von elektrotechnisch unterwiesenen Personen geprüft werden. |
Umfassende Hinweise zur Prüfung sind in DIN VDE 0105-100 Abs. 5.3 zu finden. |
DGUV Information 203-072 "Wiederkehrende Prüfungen elektrischer Anlagen und ortsfester elektrischer Betriebsmittel - Fachwissen für Prüfpersonen" |
Anhand des Prüfergebnisses ist der Zustand der Windenergieanlage abschließend zu bewerten und im Prüfbericht zu vermerken.
Das Ergebnis der Prüfung ist zu dokumentieren (in Papierform oder elektronisch). Die Mess- und Prüfergebnisse sind mindestens bis zur nächsten Prüfung aufzubewahren.
Es wird empfohlen, den Prüfstatus und das Datum der nächsten Prüfung durch eine Prüfplakette o. ä. in der Anlage kenntlich zu machen.
Folgende Prüffristen haben sich in der Praxis bewährt:
Anlagen | 2 bis 4 Jahre |
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ortsfeste Betriebsmittel | 1 bis 2 Jahre |
handgeführte Betriebsmittel | 3 bis 6 Monate |
Je nach Zustand, Wartungsintervall und -umfang muss entsprechend der Gefährdungsbeurteilung die Frist angepasst werden; dabei sollten auch die Herstellerhinweise beachtet werden. Durch den Vergleich der festgestellten Werte mit den Werten vorheriger Prüfungen können auch Erkenntnisse über die Richtigkeit der Prüffristen gewonnen werden.
Die Tabelle in Anhang 4 listet die typischen elektrischen Anlagen und Betriebsmittel von Windenergieanlagen auf und nennt die elektrotechnischen Prüfungen ("Besichtigen" - "Erproben" - "Messen"), wie sie nach § 5 der DGUV Vorschrift 3 bzw. 4 notwendig sind. Es können weitere prüfpflichtige Anlagenbestandteile, Betriebsmittel u. ä. vorhanden sein.
Die Tabelle umfasst nur die Prüfungen einer Windenergieanlage im engeren Sinne.
Darüber hinaus kann die Betreiberin bzw. der Betreiber auch verantwortlich für den sicheren Zustand und Betrieb der Netzinfrastruktur des Windparks bis zum Netzanschlusspunkt sein.
A12.2.1.5
Energiekabel
Vor Beginn von Erdarbeiten sind sämtliche Informationen über die Lage von Energiekabeln einzuholen.
DGUV Information 203-017 "Schutzmaßnahmen bei Erdarbeiten in der Nähe erdverlegter Kabel und Rohrleitungen" |
Stößt man trotz der Informationen unerwartet auf ein Kabel, müssen die Schachtarbeiten unverzüglich unterbrochen werden; erst nach Erlaubnis durch dessen Betreiberin bzw. Betreiber darf die Arbeit fortgesetzt werden.
A12.2.1.6
Freileitungen
Kranarbeiten in der Nähe
Vor Beginn von Kranarbeiten muss das Umfeld hinsichtlich der Gefährdung durch Freileitungen geprüft werden. Sind im Umkreis des Kranes keine Freileitungssysteme im Abstand von Kranhöhe zuzüglich einem Sicherheitszuschlag von 50 m vorhanden, kann eine direkte elektrische Gefährdung durch die Freileitung ausgeschlossen werden. Anderenfalls ist eine Abstimmung mit dem zuständigen Anlagenbetreiber der Freileitung zwingend erforderlich, um anschließend gemeinsam mit der Bauleitung klare Absprachen über Kranstandort und -schwenkbereich zu treffen.
Abb. A12-2
Schutzabstände
Bei der Rotormontage ist der Montageplatz des Rotors festzulegen und die Hebezone vorzugeben. Die einzuhaltenden Grenzen sind zu kennzeichnen.
Unterqueren mit Fahrzeugen
Beim Unterqueren von Freileitungen mit Fahrzeugen dürfen folgende Mindestabstände zu den Leiterseilen nicht unterschritten werden:
Nennspannung in kV | Abstand in m |
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bis 1 | 1 |
über 1 bis 110 | 3 |
über 110 bis 220 | 4 |
über 220 bis 380 | 5 |
Quelle: Tabelle 4, DGUV Vorschrift 3 oder 4
Kann keine eindeutige Einschätzung des Abstandes erfolgen, ist auch dazu eine Abstimmung mit dem Anlagenbetreiber der Freileitung erforderlich, in der die notwendigen Maßnahmen zur Querung der Freileitungstrasse getroffen werden.
Gefährdungen durch Freileitungen in der Nähe von Windenergieanlagen können sich ebenfalls ergeben, wenn beim Heraufziehen oder Ablassen von Gegenständen mit z. B. Winden oder Seilen durch Auslenkung und Schwingen die Sicherheitsabstände unterschritten werden.
Tabelle 4, DGUV Vorschrift 3 bzw. 4 |
A12.2.2
Schutzmaßnahmen gegen Störlichtbögen
A12.2.2.1
Allgemeines
Zur Verhütung von Lichtbogengefährdungen sind schon bei der Errichtung und auch beim Betrieb elektrischer Anlagen Maßnahmen zu treffen, die eine Lichtbogenzündung ausschließen (z. B. Isolierungen) oder die Auswirkungen eines gezündeten Lichtbogens verringern, z. B. durch Begrenzung des Lichtbogenstroms oder der Dauer des Lichtbogens sowie lichtbogenfeste Abdeckungen.
Restrisiken gegen die thermischen Auswirkungen von Störlichtbögen können durch PSA gegen Störlichtbögen (PSAgS) verringert werden.
Hilfe bei der Auswahl der PSAgS bietet die DGUV Information 203-077 "Thermische Gefährdungen durch Störlichtbögen" mit dem zugehörigen elektronischen Arbeitsblatt "Arbeitshilfe zur Auswahl von PSAgS ..." (online unter www.dguv.de ⇢ Webcode: d1183022). |
Bei WEAs mit Nennleistungen über 1 MW besteht in bestimmten transformator- oder generatornahen Leistungsstromkreisen ein erhöhtes Risiko personengefährdender Störlichtbögen. Einzige wirksame Maßnahme gegen Störlichtbögen ist hier das Freischalten des vollständigen Arbeitsbereichs.
A12.2.2.2
Freileitungen
Bei Eindringen in die Gefahrenzone von Hochspannungsfreileitungen mit Baumaschinen und anderen Fahrzeugen kann es zur Zündung eines Lichtbogens gegen Erde kommen.
⇢ | Maßnahmen siehe A12.2.1.6 "Freileitungen" |
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A12.2.2.3
Schaltanlagen
An gekapselten Schaltanlagen können anwesende Personen auch bei geschlossenen Türen bei einem inneren Störlichtbogen gefährdet werden, wenn heiße Lichtbogengase austreten können, z. B. durch aufspringende Türen.
Diese Gefährdung wird verhindert, wenn nur lichtbogengeprüfte Schaltanlagen nach VDE 0670 zum Einsatz kommen. Die Prüfparameter müssen den tatsächlichen Aufstellungs- und Kurzschlussverhältnissen am Einbauort Rechnung tragen. Wenn Schaltanlagentüren geöffnet sind, ist dieser Schutz unwirksam.
Personengefährdung beim Bedienen wird verhindert, wenn die Schaltanlagen so konzipiert sind, dass alle Bedienhandlungen bei geschlossenen Türen durchgeführt werden können und die Spannungsfreiheit durch Verwendung kapazitiver Anzeigesysteme festgestellt werden kann.
Durch einschaltfeste Erdungsschalter oder verriegelte Erdungstrennschalter werden Gefährdungen vermieden, die bei Verwendung freigeführter Erdungs- und Kurzschließvorrichtungen möglich sind.
Alle Wartungs- und Montagearbeiten in den Schaltanlagen sind im freigeschalteten und gesicherten Zustand auszuführen.
A12.2.2.4
Transformatoren
Die Lichtbogengefährdung an Transformatoren kann verhindert werden, wenn die Anschlussdurchführungen isoliert bzw. gekapselt ausgeführt sind.
A12.2.2.5
Hochspannungskabel
An Hochspannungskabeln kann es durch Isolationsfehler oder durch äußere Beschädigungen der Isolation zur Lichtbogenzündung kommen. Durch Isolationsprüfungen können Isolationsfehler erkannt werden. Wenn Hochspannungskabel geschützt verlegt werden, können äußere Beschädigungen weitgehend vermieden werden.
A12.2.2.6
Energiereiche Niederspannungsschaltanlagen (Anlagen mit einem Betriebsstrom über 63 A)
Für alle betriebsmäßigen Bedienvorgänge muss mindestens der teilweise Berührungsschutz gewährleistet sein.
Wenn Schaltanlagentüren geöffnet werden, sollte grundsätzlich - unabhängig von Bedienvorgängen - ein ausreichender Schutz gegen zufälliges Berühren oder Überbrücken aktiver Teile vorhanden sein.
DGUV Vorschrift 3 bzw. 4 "Elektrische Anlagen und Betriebsmittel" |
DGUV Information 203-006 "Auswahl und Betrieb elektrischer Anlagen und Betriebsmittel auf Bau- und Montagestellen" |
DGUV Information 203-017 "Schutzmaßnahmen bei Erdarbeiten in der Nähe erdverlegter Kabel und Rohrleitungen" |
DGUV Information 203-072 "Wiederkehrende Prüfungen elektrischer Anlagen und ortsfester elektrischer Betriebsmittel - Fachwissen für Prüfpersonen" |
DGUV Information 203-077 "Thermische Gefährdung durch Störlichtbögen" |