Abschnitt 1.7 - 1.7 Praktisches Vorgehen
Für die Einordnung in die Gefährdungskategorien 0, A, B, C oder D ist eine Beschreibung der Anfälle erforderlich, nach der folgende Fragen beantwortet werden können:
- a.
Ist das Bewusstsein erhalten?
- b.
Kommt es zu Haltungsverlust?
- c.
Ist die Willkürmotorik gestört?
- d.
Kommt es zu unangemessenen Handlungen?
Die alleinige Klassifizierung der Anfälle mit medizinischen Kategorien wie Absence, psychomotorischer Anfall etc. ist nicht ausreichend zur Beantwortung dieser Fragen. Entscheidend ist die Beschreibung in den arbeitsmedizinisch relevanten Gefährdungskategorien.
Anfalls-Klassifikation | Bewusstseinslage | Haltungskontrolle | Motorik | Gefährdungskategorie | Anfallsbeschreibung |
---|---|---|---|---|---|
Myoklonische Anfälle | nicht gestört | meist erhalten | gestört | A | plötzliche ein- oder mehrmalige heftige Zuckung, meist im Schulter-Arm-Bereich |
nicht gestört | selten Sturz | gestört | C | bei Beteiligung der Beine oft Sturz | |
Einfach-fokale Anfälle 1)
| nicht gestört | z. T. erhalten z. T. Sturz | gestört gestört | A C | plötzliche Verkrampfung oder Zuckungen einzelner Muskelgruppen oder Körperteile, oder Bewegungen ohne Handlungscharakter |
nicht gestört | erhalten | nicht gestört | O | äußerlich nicht sichtbare Empfindung, wie Kribbeln, Wahrnehmungsänderungen, Gefühlsänderungen | |
Absencen | gestört | meist erhalten | gestört, meist Bewegungslosigkeit | B | plötzliche sekundenlange Bewusstseinspause, nur mit Innehalten |
gestört | meist erhalten | selten unangemessene Handlungen | D | z. T. mit automatischer Fortführung der Tätigkeit; bei längerer Dauer auch neu auftretende automatische Bewegungen | |
Generalisierter tonisch-klonischer Anfall ("Grand mal", "bilateral-konvulsiver Anfall") | gestört | Sturz | gestört | C | z. T. Vorgefühle (Aura) verschiedener Dauer und Ausprägung; Bewusstlosigkeit, Sturz, Verkrampfung (tonische Phase), dann Zuckungen (klonische Phase), z. T. Zungenbiss, Blauwerden, Einnässen, Speichelfluss; unterschiedlich lange Erholungszeit, z. T. Nachschlaf |
gestört | Sturz | z. T. unangemessene Handlungen | D | nicht selten bei oder nach Anfallsende Verwirrtheitszustände mit unangemessenen Handlungen | |
Komplex fokale Anfälle 2) ("dyskognitive Anfälle") | gestört | meist erhalten | gestört, z. T. Bewegungslosigkeit | B | z. T. mit Vorgefühlen (Aura) verschiedener Dauer und Ausprägung beginnend, eingeschränktes bis aufgehobenes Bewusstsein, Unterbrechung der Tätigkeit, zum Teil ohne weitere Symptome |
gestört | meist erhalten | meist unangemessene Handlungen | D | z. T. mit Vorgefühlen (Aura) verschiedener Dauer und Ausprägung beginnend, oft automatische Bewegungen, unangemessene Handlungen unterschiedlicher Ausprägung, z. T. auch mit Umherlaufen | |
gestört | Zu-Boden-Gehen oder Sturz | keine unangemessenen Handlungen | C | z. T. mit Vorgefühlen (Aura) verschiedener Dauer und Ausprägung beginnend, (seltener) Sturz z. B. , wenn initiale tonische Muskelverkrampfung ("C" nur wenn keine unangemessenen Handlungen) |
Tabelle 2:
Medizinische Bezeichnungen, Anfallsbeschreibungen und die zugehörigen Gefährdungskategorien bei den häufigsten Anfallstypen
Das Vorgehen bei der Einordnung in Gefährdungskategorien ist Abbildungen 1 und Tabelle 1 zu entnehmen. Tabelle 1 zeigt, welche Fragen dem Betroffenen und den Zeugen seiner Anfälle gestellt werden müssen, um zu einer raschen und eindeutigen Einordnung in die zutreffende Gefährdungskategorie zu gelangen. Abbildung 1 hilft beim Vorliegen von Anfallsbeschreibungen, die zutreffende Gefährdungskategorie zu bestimmen. Besondere Sorgfalt ist bei der Zuordnung von komplex-fokalen Anfällen zu den einzelnen Gefährdungskategorien geboten, da sie Kategorie D, aber auch B oder C entsprechen können (siehe Tabelle 2). Im Anschluss an das eigentliche Anfallsgeschehen kann es bei generalisierten tonisch-klonischen Anfällen (Grand mal-Anfällen) manchmal zu Verwirrtheitszuständen mit unangemessenen Handlungen kommen, die dann der Kategorie D zuzuordnen sind.
Die anhand von Tabelle 1 oder Abbildung 1 gefundene Gefährdungskategorie muss mit der aktuellen Anfallshäufigkeit (Angaben des Betroffenen, nach Möglichkeit durch Anfallskalender oder Fremdbeobachtung belegt) kombiniert werden. Hieraus ergibt sich die Schwere der Epilepsie unter arbeitsmedizinischen Gesichtspunkten (siehe Abbildungen zur Beurteilung ausgewählter Tätigkeiten bzw. ausgewählter Berufe).
Mehrere arbeitsmedizinisch relevante Anfallssymptome
Beim Vorliegen mehrerer Anfallsformen bei einer Person muss für die Einordnung in die Gefährdungskategorien immer die arbeitsmedizinisch Gefährdendere zugrunde gelegt werden.
Anfallssymptome, die arbeitsmedizinisch nicht relevant sind
Bei epileptischen Symptomen, bei denen Bewusstsein und Haltungskontrolle erhalten sind und bei denen die Handlungsfähigkeit nicht beeinträchtigt ist, z. B. bei isolierten Auren oder Anfällen mit motorischen Phänomenen im Gesicht, sollten entsprechend den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung grundsätzlich keine Einschränkungen gemacht, d. h. die 0-Kategorie gewählt werden.
Protektive Mechanismen
Auren ("Vorgefühle") sollen als Schutzmöglichkeit berücksichtigt werden, wenn durch Fremdbeobachtungen gesichert ist, dass die Aura es dem Epilepsiekranken erlaubt, geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen und diese Möglichkeit in angemessener Weise genutzt wird. Im Einzelfall bedeutet dies, dass statt Kategorie D oder C Kategorie A gewählt werden sollte.
Tageszeitliche Bindung: Für Menschen mit Epilepsie, deren Anfälle ausschließlich nach dem Aufwachen auftreten, kann nur dann ein geringeres Gefährdungsrisiko angenommen werden, wenn diese tageszeitliche Bindung mindestens schon drei Jahre besteht und eine enge Bindung an die Aufwachsituation besteht, so dass keine Anfälle auf dem Arbeitsweg oder am Arbeitsplatz zu erwarten sind. Solche Personen sollten unter die mittelfristig Anfallsfreien eingeordnet werden (0-Kategorie). Das Gleiche gilt für Personen mit Anfällen, die länger als drei Jahre ausschließlich aus dem Schlaf aufgetreten sind.
Anfallsauslöser, die vorhersehbar sind: Wenn die Person gelernt hat, einen Auslöser wirksam zu vermeiden, kann dadurch das Risiko von Anfällen am Arbeitsplatz herabgesetzt werden (z. B. Wegschauen bei geringer werdender Drehzahl, wenn drehende Teile anfallsauslösend wirken, oder Tragen einer polarisierenden Sonnenbrille bei Fotosensibilität). Solche Schutzmöglichkeiten sollten bei der arbeitsmedizinischen Beurteilung berücksichtigt werden.
Fokale Anfälle ohne Einschränkung des Bewusstseins
Fokale Anfälle mit Einschränkung des Bewusstseins oder der Aufmerksamkeit (7, 8)