Fachbeitrag  Arbeitssicherheit, Recht und Urteile  

Posttraumatische Belastungsstörungen in der gesetzlichen Unfallversicherung

Posttraumatische Belastungsstörung
Foto: © New Africa - stock.adobe.com

Eine posttraumatische Belastungsstörung tritt als verzögerte psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis auf. Ob es sich dabei um eine Berufskrankheit handeln kann, kommt auf den Einzelfall an. 

Verschiedene Berufsgruppen, insbesondere solche, bei denen man gemeinhin davon ausgehen müsste, dass ihnen, durch Job-Routine und Gewöhnung gefestigt, der Anblick von stark entstellten Unfallopfern beziehungsweise die schwierige Bergung von Schwerstverletzten nichts anhaben kann, haben zunehmend mit einem Phänomen zu kämpfen, dass in jüngster Zeit und mit unterschiedlichen Ergebnissen die Sozialgerichtsbarkeit unter dem rechtlichen Gesichtspunkt »Berufskrankheit« beschäftigt hat. Die Rede ist von posttraumatischen Belastungsstörungen (abgekürzt: »PTBS«). 

Was ist eine PTBS? 

Den einschlägigen Internet-Foren (z. B. Informationsportal zur psychischen Gesundheit und Nervenerkrankungen) zufolge, tritt PTBS als eine verzögerte psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis, eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes auf. Die Erlebnisse (Traumata) können von längerer oder kürzerer Dauer sein, wie zum Beispiel schwere Unfälle, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen oder Kriegshandlungen, wobei die Betroffenen dabei Gefühle wie Angst und Schutzlosigkeit erleben und in Ermangelung ihrer subjektiven Bewältigungsmöglichkeiten, Hilfslosigkeit und Kontrollverlust empfinden. 

Die PTBS als Berufskrankheit (BK) im Sinne der Unfallversicherung 

In klassischer Juristen-Manier lautet die Antwort, ob eine PTBS eine BK darstellt: Es kommt darauf an. 

Nach der insoweit einschlägigen Vorschrift des § 9 Abs. 1 SGB VII (Definition der »Berufskrankheit« im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung) zählen nur solche Krankheiten als Berufskrankheiten im engeren Sinne, die von Bundesregierung und Bundesrat im Rahmen der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) explizit als solche bezeichnet werden.  

Dabei handelt es sich um solche Krankheiten, die  

  • nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft,
  • durch besondere Einwirkungen verursacht sind,
  • denen bestimmte Personengruppen,
  • durch ihre versicherte Tätigkeit,
  • in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. 

Als Berufskrankheiten im vorstehend beschriebenen Sinne können auch Krankheiten bestimmt werden, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. 

Gemessen an diesen Maßstäben ist PTBS derzeit (noch) keine BK im Rechtssinne. 

Allerdings haben nach § 9 Abs. 2 SGB VII die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKVO bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 erfüllt sind. 

Die PTBS als »Wie-Berufskrankheit« nach § 9 Abs. 2 SGB VII 

Mithin stellt sich die Frage, ob eine PTBS, lediglich über die Ausnahme-Regelung des Abs. 2 als »Wie-BK« bewertet, mit entsprechenden Leistungen der GUV versehen werden kann. Auch hierzu hat die Sozialgerichtsbarkeit in jüngster Zeit und durch verschiedene Instanzen bezüglich unterschiedlicher Berufsgruppen geurteilt: Es kommt darauf an. 

Keine PTBS bei einem Leichenumbetter 

Die Frage, ob ein Leichenumbetter, der zwischen 1993 und 2005 in Mittel- und Osteuropa an der Exhumierung, Identifizierung und Umbettung von Toten des 2. Weltkriegs und der Jugoslawienkriege beteiligt war – wobei er Alter, Geschlecht, Körperbau, Größe und die mögliche Todesursache ermitteln sollte –, eine PTBS erlitten haben kann, die als BK anzuerkennen sei, hat bis ins Frühjahr 2023 hinein die erste und zweite Instanz der Sozialgerichtsbarkeit in Berlin/Brandenburg beschäftigt: 

  • Sozialgericht (SG) Potsdam, Urteil vom 24.10.2019 -S 12 U 79/17-
  • Landessozialgericht (LSG) Berlin/Brandenburg, Urteil vom 27.04.2023 -L 21 U 231/19- (rechtskräftig). 

In seiner Berufungsentscheidung hat das LSG die Entscheidung des SG bestätigt. Unter Zugrundelegung der o. g. Umschreibung einer PTBS hat das LSG dabei hervorgehoben, dass nicht bereits die Berufsbezeichnung, also der Umgang mit Leichen, per se den Weg zur BK eröffne.   

Zudem ließen sich auch aus epidemiologischen Studien derzeit keine gesicherten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zum Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten eines Leichenumbetters und einer PTBS ableiten. Dazu fehle es zudem an einer statistischen Untermauerung.  

Auf Studien zu Berufen, die ähnliche Belastungen mit sich bringen (u. a. Rettungssanitäter – siehe dazu unten) könne mangels Übertragbarkeit nicht zurückgegriffen werden. Für eine Anerkennung als »Wie-Berufskrankheit« reiche die bloße Denkbarkeit bzw. Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit der ausgeübten Tätigkeit nicht aus.  

Mangels Zulassung der Revision ist das LSG-Urteil rechtskräftig

PTBS möglich bei einem Rettungssanitäter? 

Die Frage nach einer PTBS bei einem Rettungssanitäter hat, im Gegensatz zu dem Fall des Leichenumbetters, sogar das Bundessozialgericht erreicht: 

  • Sozialgericht (SG) Stuttgart, Urteil vom 17.08.2018 -S 1 U 1682/17-
  • Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Urteil vom 13.12.2019 -L 8 U 4271/18-
  • Bundessozialgericht, Urteil vom 22.06.2023 -B 2 U 11/20 R-.

Die aus den Aktenzeichen ablesbare Verfahrensdauer von gut sechs Jahren ist Indiz für die Intensität und Gewissenhaftigkeit, mit der insbesondere der für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zuständige 2. Senat des BSG sich insbesondere mit den psychologischen Fragestellungen des Falls befasst hat, nachdem beide Vorinstanzen das Vorliegen einer »Wie-BK« verneint haben.  

In einer für die in aller Regel nur noch mit Rechtsfragen befasste dritte Instanz eher ungewöhnlichen Form hat das BSG Stellungnahmen des BMAS und des Ärztlichen Sachverständigenbeirats zum Auftreten und zu Ursachenzusammenhängen von PTBS eingeholt und die Sache daraufhin an die zweite Instanz zurückverwiesen, zwecks weiterer Sachverhaltsaufklärung. 

Bewertung 

Es steht mithin zu erwarten, dass das LSG Baden-Württemberg, im Lichte neuerer Erkenntnisse, sein ursprünglich ablehnendes Urteil im konkreten Fall wird korrigieren müssen. Hoffnungen auf eine nunmehr deutlich weitergehende Öffnung des BK-Rechts, insbesondere auch im Bereich psychischer Erkrankungen, wie sie gelegentlich von den Gewerkschaften gefordert wird, sollten damit gegenwärtig aber nicht verbunden werden. 

Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg

Gefährdungsbeurteilung: Lesen Sie auch »Psychische Faktoren selten berücksichtigt« >>

Über den Autor

Dr. jur. Kurt Kreizberg
Rechtsanwalt in Solingen
seit 2013: Lehrbeauftragter für Arbeits- und Sozialrecht an der FOM Essen
seit 2016: Autor des Loseblatt-Kommentars (Carl Heymanns Verlag)
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