Fachbeitrag  Recht und Urteile, Arbeitssicherheit  

Arbeitsunfall: Kein Versicherungsschutz im Promotionsstudium?

Urteil zum Versicherungsschutz im Promotionsstudium
Foto: © Pixel-Shot - stock.adobe.com

Eine Studentin sammelt in einem alten Bergwerk Material für ihre Doktorarbeit – und stürzt schwer. Sie erleidet eine Querschnittssymptomatik. Handelt es sich bei dem Sturz um einen Arbeitsunfall? 

»Vor der Hacke ist es immer dunkel« hieß es zu einer Zeit, in der der Bergbau in Deutschland zu den Schlüsselindustrien gehörte. Dabei handelt es sich um ein geflügeltes Wort der Bergleute (»Kumpel«), womit sie zum Ausdruck brachten, dass man nie weiß, was auf den nächsten Metern im Stollen passiert und welche zumeist negativen Überraschungen dort zu erwarten sind. 

Eine vergleichbare Erfahrung musste eine Studentin machen, die, um Material für ihre Doktorarbeit zu sammeln, bei einer privat organisierten Exkursion in einem alten Bergwerk stürzte und sich schwer verletzte. 

Der Fall 

Eine Promotionsstudentin im Bereich Geowissenschaften war zudem Mitarbeiterin am betreffenden Fachinstitut einer Hochschule in Sachsen-Anhalt und dabei unter anderem mit der wissenschaftlichen Betreuung von Studierenden betraut. 

Im Rahmen ihrer parallel verlaufenden Doktorarbeit befasste sie sich mit einem Thema betreffend geologische Veränderungen in der Region Südharz und südlicher Kyffhäuser. Außerhalb dieser Region erlitt sie an einem Sonntag im Mai 2015 einen schweren Sturz, als sie zusammen mit anderen Mitgliedern ihres Höhlenklettervereins eine Befahrung in einem alten Bergwerk unternahm. Dabei zog sie sich eine Querschnittssymptomatik zu. 

Gegenüber der Unfallkasse Sachsen-Anhalt als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung für den öffentlichen Dienst machte sie daraufhin Ansprüche auf Leistungen aus einem Arbeitsunfall geltend, was von dort mit der Begründung abgelehnt wurde, die Verletzte sei weder als Beschäftigte noch in vergleichbarer Weise als »Wie-Beschäftigte« zu Schaden gekommen, da sie das Bergwerk nicht fremdbestimmt zu Forschungszwecken der Universität, sondern eigenwirtschaftlich und privatnützig zur Fortentwicklung ihrer Doktorarbeit erkundet habe.  

Der geltend gemachte Anspruch aus einem vermeintlichen Arbeitsunfall wurde letztlich auch mit dem Argument zurückgewiesen, dass selbst der innere Zusammenhang der Exkursion mit ihrer Doktorarbeit zu keinem anderen Ergebnis führen könne, weil das Befahren des Bergwerks nicht im organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule gestanden habe. 

Diese Ablehnung wurde in zwei Instanzen von der Sozialgerichtsbarkeit in Sachsen-Anhalt bestätigt: 

  • Sozialgericht (SG) Halle, Urteil vom 27.09.2018 -S 11 U 149/16-
  • Landessozialgericht (LSG) Sachsen–Anhalt, Urteil vom 11.03.2021 -L 6 U 4/19-.

Dem hat sich der für das Unfallversicherungsrecht zuständige zweite Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel vor wenigen Wochen angeschlossen: 

  • BSG-Urteil vom 22.06.20223 -B 2 U 19/21 R-. 

Die Entscheidung 

Das Befahren des alten Bergwerks, so das BSG in seinen Entscheidungsgründen, war nicht der versicherten Tätigkeit der Verunglückten als Promotionsstudentin zuzurechnen. Dem steht auch nicht die Tatsache entgegen, dass sie als Doktorandin dem versicherten Personenkreis der Studierenden während einer Aus- und Fortbildung an Hochschulen angehört. 

Auch die jüngere Rechtsprechung des für das Beitrags- und Melderecht zur gesetzlichen Sozialversicherung zuständigen zwölften Senats des BSG, wonach Promotionsstudenten nicht der Beitragspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unterliegen, spielt dabei keine Rolle (Urteil vom 07.06.2018 -B 12 RK 15/16 R-). 

Die konkrete Verrichtung der Verunglückten im Zeitpunkt ihres schweren Sturzes im Bergwerk ist ihrer versicherten Tätigkeit als Promotionsstudentin deshalb nicht zuzurechnen, weil, so auch schon von den Vorinstanzen festgestellt, diese Exkursion nicht in der organisatorischen Mitverantwortung der Hochschule erfolgte.   

Die Universität hat zu keinem Zeitpunkt Einfluss genommen beziehungsweise Einfluss gehabt auf Zeit, Ort oder Dauer der Kletterpartie im Bergwerk, zumal der Hochschule dieses Vorgehen der Studentin überhaupt nicht bekannt waren. 

Vielmehr hat die Studentin diese Exkursion, wenngleich ihrem Promotionsvorhaben dienlich und nützlich, eigeninitiativ, völlig frei, selbstständig und auf eigene Rechnung organisiert. Insofern scheidet auch eine Betrachtung des Falls unter dem Aspekt einer »Wie–Beschäftigten« aus. 

Ebenfalls verneint hat das BSG einen Unfallversicherungsschutz durch den Betreiber des ehemaligen Bergwerks. Zwar gewährt der hierfür zuständige Unfallversicherungsträger, die Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie nach ihrer Satzung eine sogenannte Aufenthaltsversicherung. Diese greift aber ebenfalls nicht, da es an einem entsprechenden Auftrag beziehungsweise der Zustimmung des Unternehmens an der Exkursion und ihrem (akademischen) Zweck fehlt. 

Bewertung 

Die Entscheidungen der Sozialgerichte sind in sich stimmig und konsequent. Insbesondere der Unfallversicherung kann, zumal sie allein von den Arbeitgebern finanziert wird, nicht die Rolle eines Versicherers mit »Rundum-sorglos-Tarif« zugewiesen werden.  

Wer, wie zahlreiche Doktoranden neben der anderweitigen Berufstätigkeit über mehrere Jahre völlig fernab des universitären Betriebs gewissermaßen »nebenbei« promoviert, ist gut beraten, für eventuelle Wegstrecken zu und in Büchereien und Archive auf privatwirtschaftlicher Ebene Versicherungsschutz einzukaufen.

Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg

Urteil: Lesen Sie auch »Tödlicher Sturz ohne Zeugen, ein Arbeitsunfall?« >>

Über den Autor

Dr. jur. Kurt Kreizberg
Rechtsanwalt in Solingen
seit 2013: Lehrbeauftragter für Arbeits- und Sozialrecht an der FOM Essen
seit 2016: Autor des Loseblatt-Kommentars (Carl Heymanns Verlag)
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