Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird zum »Zankapfel« zwischen Unfall- und Krankenversicherung. Am Ende musste ein Gericht entscheiden, ob ein Versicherungsanspruch besteht.
Während der zahlreichen Corona-Sondervorschriften hat eine Regelung die Gemüter, zumeist die der Arbeitgeber, in besonderer Weise erhitzt: die Möglichkeit der Beschäftigten zur telefonischen Erlangung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (vulgo: »gelber Zettel«) beim Hausarzt. Der Vorteil für die Beteiligten: der objektiv erkrankte Mitarbeiter konnte daheim genesen, ohne sich dem zusätzlichen Risiko einer Corona-Infektion im ärztlichen Wartezimmer auszusetzen und auch in der Arztpraxis war das Gefährdungsrisiko durch Fernbleiben des Erkrankten geringer. Was blieb, war das Misstrauen des Arbeitgebers hinsichtlich einer objektiven Erkrankung und der Aussagekraft der AU-Bescheinigung.
Seit Anfang 2023 gilt zudem die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Zwar müssen sich Beschäftigte weiterhin bei ihrem Arbeitgeber arbeitsunfähig melden. Die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (vulgo: »gelber Zettel«) erfolgt allerdings digital über einen Abruf bei der Krankenkasse.
Ein Fall, über den das Bundessozialgericht (BSG) Ende März 2023 zu entscheiden hatte, verdeutlicht, wie riskant die »klassische« Methode aus der Vor-Corona-Zeit (Persönliche Vorsprache beim Arzt und Versand der AU per Post) sein kann und wie darüber ein eher seltener Streit zwischen der gesetzlichen Unfall- und der gesetzlichen Krankenversicherung entflammen kann.
Der Fall
Im November 2013 war eine Beschäftigte arbeitsunfähig erkrankt. Die daraufhin vom Arzt erstellte AU-Bescheinigung wollte sie dann umgehend per Briefpost an ihren Arbeitgeber versenden. Auf dem Weg zum Briefkasten stürzte sie und verletzte sich.
Ihre gesetzliche Krankenversicherung, eine Innungskrankenkasse, zahlte für die notwendige medizinische Behandlung. Zudem gewährte sie der Verletzten die Zahlung von Krankengeld.
Die aus dem Sturz am Briefkasten resultierenden Kosten wollte die Krankenkasse sodann von der für die Verletzte zuständigen Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung erstattet haben, die aber die Sichtweise der Krankenkasse, der Sturz am Briefkasten sei ein Arbeitsunfall (Wegeunfall), nicht teilen mochte.
Die Krankenkasse unterlag mit ihrer gegen die VBG gerichteten Erstattungsklage in erster und zweiter Instanz:
- Sozialgericht (SG) Potsdam, Urteil vom 28.09.2018 -S 12 U 9/17-,
- Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.12.2020 -L 3 U 194/18-.
Beide Instanzen vertraten die Auffassung, es habe kein durch die Unfallversicherung abzudeckender Wegeunfall vorgelegen, zumal das Einwerfen der AU-Bescheinigung in den Briefkasten zwecks postalischer Zuleitung an den Arbeitgeber keine nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Leistung darstellte und zudem vom Arbeitgeber auch gar nicht veranlasst worden sei.
Die durch den Sturz verletzte Mitarbeiterin habe mit der postalischen Übersendung der AU-Bescheinigung ausschließlich eigene Rechte sichern wollen.
Die Entscheidung
Mit der Revision zum BSG obsiegte schließlich doch noch die Krankenkasse:
- BSG–Urteil vom 30. März 2023 -B 2 U 1/21 R-
Entgegen den Vorinstanzen, insbesondere dem LSG, vertrat das BSG den rechtlichen Standpunkt, dass das Erstattungsbegehren der Krankenkasse von der Unfallversicherung zu Unrecht zurückgewiesen wurde und letztere vielmehr eine vollumfängliche Erstattung dieser Kosten (Behandlung und Krankengeld) hätte vornehmen müssen.
Die verletzte Beschäftigte habe, da es sich bei dem Sturz am Briefkasten um einen Wegeunfall im Sinne der Unfallversicherung gehandelt habe, keine Ansprüche – weder Sach- noch Geldleistungen – gegen ihre Krankenkasse gehabt.
Auch der bestandskräftige Verwaltungsakt (Ablehnung der Erstattung von der UV zur KV) habe keine Bindungswirkung, da die Ablehnung offensichtlich fehlerhaft war und die Erstattung, auch ohne weitere Ermittlungen, hätte vorgenommen werden müssen.
Schließlich habe die gestürzte Beschäftigte, anders als von den Vorinstanzen gewertet, eben keine eigenen Belange verfolgt, sondern sei mit dem Postversand der AU-Bescheinigung ihrer gesetzlichen Verpflichtung aus § 5 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) nachgekommen, die dem Arbeitgeber zudem eine Perspektive zum voraussichtlichen Ende der Arbeitsunfähigkeit liefern solle.
Bewertung
Das BSG hat mit dieser Entscheidung, diesmal auf der Basis eines Streits zwischen zwei Sozialversicherungsträgern, dem Thema „Wegeunfall“ eine weitere, für die Praxis bedeutsame Komponente hinzugefügt.
Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg
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