Fachbeitrag  Arbeitssicherheit  

Unfallversicherung: Kein Versicherungsschutz beim Radeln mit einem Geschäftspartner

Sturz mit dem Fahrrad nach geschäftlichem Treffen
Foto: © New Africa - stock.adobe.com

Ein selbstständiger Versicherungsmakler unternimmt mit einem potenziellen Geschäftspartner eine Radtour. Auf dem Heimweg erleidet er einen Unfall. Greift in diesem Fall die gesetzliche Unfallversicherung? 

Dass Belegschaften sich für ihr jeweiliges Unternehmen »abstrampeln«, also motiviert und fleißig an die Arbeit gehen, gehört ebenso zum Erwartungshorizont der Unternehmer wie deren Gewissheit, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) stehen, wenn dann einmal ein Arbeits- oder Wegeunfall passiert.  

Wie trügerisch eine solche Gewissheit sein kann, musste unlängst ein selbstständiger Versicherungsmakler erfahren, der nach einer Radtour, bei der er sich im wahrsten wie übertragenen Sinne für sein Unternehmen »abgestrampelt« hatte, schwer stürzte und dann vergeblich GUV-Leistungen aus einem vermeintlichen Wegeunfall begehrte. 

Der Fall 

Der Kläger führte als sogenannter Solo-Selbstständiger eine freiwillige Mitgliedschaft bei der später in Anspruch genommenen Berufsgenossenschaft (BG) als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV).  

Mit einem Bekannten, den er als künftigen Mitarbeiter beziehungsweise Geschäftspartner für den Vertrieb und die Kundenbetreuung gewinnen wollte, unternahm der Kläger an einem Sonntag im Juli 2020 eine mehrstündige Radtour im heimatlichen Umfeld.  

Im Rahmen dieser Radtour wurde in Gesprächen Geschäftliches und Privates erörtert. Abgeschlossen wurde die Tour mit einer Rast an einem Grillplatz sowie letztlich einem Besuch bei den Eltern des Klägers. Danach trennten sich die Wege der beiden Bekannten. Auf dem nunmehr allein befahrenen Heimweg kam der Kläger schwer zu Fall und brach sich unter anderem den rechten Unterschenkel. 

Als Argumente für einen Anspruch auf Leistungen der GUV machte der Kläger gegenüber der Berufsgenossenschaft geltend, dass auf der Radtour Gespräche zu einer Geschäftsanbahnung geführt worden seien. Auch der Besuch bei seinen Eltern habe der Demonstration eines Kundengesprächs, gewissermaßen als vorbereitende Tätigkeit für ein noch zu begründendes Arbeitsverhältnis gedient, wenngleich dieses nach dem Unfall dann doch nicht zustande gekommen sei. 

Obwohl der als Zeuge benannte Radsport-Freund die Darstellung des Klägers uneingeschränkt bestätigte, ließ sich die Berufsgenossenschaft nicht von ihrer Leistungsverpflichtung überzeugen und lehnte diese mit dem Rechtsargument ab, dass die den Unfall verursachende Tätigkeit keinen ausreichenden Zusammenhang zu betrieblichen Interessen beziehungsweise zur Tätigkeit als Unternehmer aufgewiesen habe.  

Dem entsprechenden Bescheid vom 1. Dezember 2020 folgte am 11. Dezember 2020 der Widerspruch des Klägers, den die Berufsgenossenschaft mit Schreiben vom 15.10.2021 ebenfalls negativ beschied.  

Das mit Klage vom 03. November 2021 eingeleitete Verfahren vor der baden-württembergischen Sozialgerichtsbarkeit blieb in beiden Instanzen

  • Sozialgericht (SG) Heilbronn mit Urteil vom 28. April 2022 – S 8 U 2971/21
  • Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 13. September 2023 – 1.8 U 1620/22 

im Ergebnis erfolglos. 

Aus der Tatsache, dass das LSG die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) nicht zugelassen hat und, wie eine telefonische Rückfrage beim LSG ergeben hat, auch keine Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) dagegen erhoben wurde, ist zu schlussfolgern, dass sich die Entscheidung des LSG unter jedem denkbaren Gesichtspunkt im Rahmen der gefestigten BSG-Rechtsprechung zum Wegeunfall bewegt hat. 

Die Entscheidung 

Das LSG als Berufungsgericht hat sich bei seiner Entscheidung von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:  

Die Radtour hat, so der achte Senat des LSG, eine sogenannte »Verrichtung mit gemischter Motivationslage« dargestellt. Sie hat sowohl gemeinsamen privaten Interessen (Radfahren, Grillen) als auch, insoweit untergeordnet beziehungsweise nachrangig, betrieblichen Interessen dienen sollen, nämlich dem näheren Kennenlernen, insbesondere dem Beobachten des Verhaltens in der Situation eines Kundengesprächs als Übungssituation. 

In dieser Einschätzung sah sich das LSG auch durch die eigene Darstellung des Klägers bestärkt, wonach man sich zu der Radtour verabredet habe, um nebenbei Geschäftliches zu besprechen. 

Eine solche »Verrichtung mit gemischter Motivationslage« erfülle demnach nur dann den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit im Sinne der §§ 7 und 8 SGB VII, wenn das konkrete Geschehen hypothetisch auch ohne die private Motivation des Handelns vorgenommen worden wäre, was aber im Ergebnis zu verneinen war. 

Abschließende Bewertung 

Der am Ende verhängnisvollen Tour lag vorrangig das gemeinsame Interesse der Bekannten (Kläger und Zeuge) am Radsport zugrunde. Der verständliche Wunsch, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, mündete letztlich in einem Unfall, für den die Versichertengemeinschaft der GUV nicht aufkommen muss.  

Die Entscheidung steht uneingeschränkt im Kontext zur einschlägigen Rechtsprechung der Sozialgerichte, auch und soweit diese in der Vergangenheit bereits über vergleichbare Unfälle bei und nach Betriebsausflügen zu urteilen hatte. 

Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg

Unfallversicherung: Lesen Sie auch »Betriebsausflug inklusive Schutz bei Arbeitsunfall« >>

Über den Autor

Dr. jur. Kurt Kreizberg
Rechtsanwalt in Solingen
seit 2013: Lehrbeauftragter für Arbeits- und Sozialrecht an der FOM Essen
seit 2016: Autor des Loseblatt-Kommentars (Carl Heymanns Verlag)
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