Fachbeitrag  Recht und Urteile, Arbeitssicherheit  

Zeckenstiche als Ursache für eine Berufskrankheit

Zeckenstiche als Ursache für eine Berufskrankheit
Foto: © Animaflora PicsStock - stock.adobe.com

Kann eine Borreliose aufgrund eines Zeckenbisses eine Berufskrankheit darstellen? Mit dieser Frage setzte sich das Bundessozialgericht auseinander. 

»Kleine Ursache, große Wirkung« – dieser für viele Bereiche des Arbeits- und Gesundheitsschutzes gültige Vergleich drängt sich angesichts eines vom Bundessozialgericht (BSG) am 30. März 2023 verhandelten Falls (Az: B 2 U2/21/R) auf. An dessen Anfang stand ein Zeckenstich und am Ende die Frage nach der Anerkennung einer daraus möglicherweise resultierenden Borreliose als Berufskrankheit im Sinne der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO). 

Zunächst ein paar Fakten 

Es gibt verschiedene Formen von Borreliose. Die bekannteste, benannt nach dem erstmaligen Auffindungsort in den USA, ist die Lyme-Borreliose, die zumeist von Zecken, aber auch von Mücken, auf den Menschen übertragen wird und vorrangig die Haut, besonders das Nervensystem sowie die Gelenke schädigt.  

Im System der Berufskrankheiten ist diese Borreliose unter der Ordnungsnummer 3102 als Berufskrankheit (BK) anerkannt. Da die Borreliose nur von Zecken und Mücken übertragbar ist, nicht aber von Mensch zu Mensch, ist sie – anders als beispielsweise Corona – nicht ansteckend. 

Zur Frage nach dem Risiko, sich in Deutschland mit (Lyme)-Borreliose zu infizieren, hat das Magazin »FOCUS« im September 2021 eine Karte der »Borreliose-Hotspots« publiziert. Demnach ist die Infektionsgefahr in insgesamt 45 Kreisen der Bundesrepublik Deutschland, vorrangig im östlichen Teil von Brandenburg an der Grenze zu Polen, in weiten Teilen Sachsens und der Südhälfte von Thüringen weit überdurchschnittlich hoch. In Bayern sind die Nordgrenze zu Hessen sowie weite Teile des Bayrischen Waldes an der Grenze zu Tschechien betroffen. Ein statistisch unterdurchschnittliches Infektionsrisiko hat derzeit noch das westliche Nordrhein-Westfalen mit dem Münsterland, dem Bergischen Land und dem linken Niederrhein. 

Der Fall 

Eine Erzieherin war um die Jahrtausendwende herum in einem Waldkindergarten beschäftigt und dabei durchgängig der Gefahr einer Infektion mit Borrelien durch Zeckenstiche ausgesetzt.  

Im Juni 2008 beantragte sie bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienste und Wohlfahrtspflege (BGW), als dem für sie zuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, die Anerkennung einer Lyme-Borreliose als Berufskrankheit (BK). 

Nachdem die BGW eine Anerkennung einer BK nach Nr. 3102 BKVO mit dem Argument versagt hatte, es habe weder ein typisches Krankheitsbild für eine Neuroborreliose noch ein besonderes Infektionsrisiko während der Tätigkeit im Waldkindergarten bestanden, obsiegte die Klägerin in erster Instanz vor dem Sozialgericht (SG) Aurich (Urteil vom 28.04.2015 -S 3 U 73/09-). 

Das SG Aurich hatte dabei nach Einholung einer Stellungnahme des Regierungspräsidiums Stuttgart sowie eines fachmedizinischen Gutachtens alle Voraussetzungen für das Vorliegen einer BK nach Nr. 3102 bejaht, insbesondere also die Kausalität aus der Tätigkeit selbst, als auch die dabei bestehende besondere Infektionsgefährdung

Das Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 14.05.2020 –L 14 U 172/15-) endete allerdings zum Nachteil der Erzieherin mit der Begründung, es fehle der konkrete Nachweis eines Zeckenstiches während der Tätigkeit ebenso wie derjenige für eine durchgängige und besondere Infektionsgefährdung. Beide Elemente müssten aber zusammenkommen.  

Die besondere Gefährdung allein reiche für die Anerkennung einer BK nicht aus. 

Die Entscheidung des BSG vom 30. März 2023 

Auf die Revision der Erzieherin hat das BSG den Fall an das LSG zurückverwiesen, damit von dort aus weitere, für die abschließende Beurteilung unverzichtbare Tatsachenfeststellungen nachgeholt werden. 

Während das LSG die (abstrakte) besondere Gefährdung durch eine Borreliose-Infektion verneinte, wurde diese vom BSG hingegen bejaht. »Knackpunkt« für das BSG war dann aber die im Unfallversicherungsrecht vielfach entscheidende Frage nach der Kausalität zwischen der potenziellen Ursache, also einem Zeckenstich, und dem konkreten Zusammenhang mit der Berufstätigkeit zum Zeitpunkt der Verletzung. 

Die hierzu erforderlichen Feststellungen wird das LSG nachzuholen haben. 

Bewertung

Auch wenn in der Sozialgerichtsbarkeit, anders als vor Amts- und Landgerichten, das Amtsermittlungsprinzip und damit die richterliche Tatsachenermittlung, losgelöst vom Parteivortrag, prägende Prozessmaxime ist, zeigt der Fall exemplarisch, wie schwierig oft eine nachträgliche Tatsachenfeststellung ist.  

Im konkreten Fall liegt knapp ein Vierteljahrhundert zwischen »Tatzeit« und »Tatort« sowie den daraus erwachsenden »Schulaufgaben« des BSG für das erneut befasste LSG.  

Es wird mit Interesse zu verfolgen sein, wie das LSG diese Detektiv-Aufgabe lösen wird. 

Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg

Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten: Lesen Sie auch »Die vorläufigen Zahlen für 2022« >>

Über den Autor

Dr. jur. Kurt Kreizberg
Rechtsanwalt in Solingen
seit 2013: Lehrbeauftragter für Arbeits- und Sozialrecht an der FOM Essen
seit 2016: Autor des Loseblatt-Kommentars (Carl Heymanns Verlag)
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